Wird der „Soundtrack der Alpen“ abgeschafft?

Sind Kuhglocken Tierquälerei?

3. August 2015

In einem perfekten Alpenpanorama gehören sie traditionell dazu: frei weidende Kühe und ihr stimmungsvolles Glockengeläut, der sogenannte „Soundtrack der Alpen“. Doch nun haben Tierschützer eine Diskussion darüber angezettelt: Sie halten den alten Brauch für Tierquälerei und wollen die Kühe von den Glocken befreien.   

Wer die Alpen noch mit traditionellem Kuhglocken-Gebimmel erleben will, der sollte sich sicherheitshalber einen Lastminuteflug schnappen und auf einen spontanen Kurzurlaub vorbeischauen. Tierschützer haben eine Frage aufgeworfen, die die gesamte Alpenwelt in helle Aufregung versetzt: Sind Kuhglocken Tierquälerei? 

Kuh Glocke AlpenTraditionell in den Alpen: Kuh mit Glocke © Pixabay.com, wilhei (CC0 1.0)

„Definitiv“, sagt Nancy Holten. Sie will den alten Brauch lieber heute als morgen abgeschafft sehen. Die in der Schweiz lebende Holländerin hat daher die Initiative „Kuhglocken out“ gegründet, die mit öffentlichen Aktionen und einer Facebook-Gruppe über die Schweiz hinaus für Aufmerksamkeit für das Thema sorgt. 

Auch in Österreich und den bayerischen Alpen sind Kuhglocken nach wie vor Tradition und von Einheimischen wie Touristen gleichermassen geschätzt. Entsprechend gross ist der Gegenwind, den die Tierschützer mit ihrer Initiative bekommen: rund 4.000 Unterstützern der Facebookseite „Kuhglocken out“ stehen fast 20.000 Fans der Gruppe „Pro Kuhglocken" gegenüber.

Leiden Alpenkühe unter ihren Glocken?

Aber leiden Kühe wirklich unter einer Glocke um ihren Hals? Auf der Facebook-Seite „Kuhglocken out“ ist zu lesen: „Stelle dir bitte kurz vor, du hättest eine Glocke um den Hals und es bimmelt dir ständig bei jeder Bewegung ins Ohr... “ Das sei, so die Initiatorin Nancy Holten, für Kühe in etwa so laut, als wenn uns jemand ständig einen Presslufthammer ans Ohr halten würde. Zum Lärm kämen noch das Gewicht der Glocke sowie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit hinzu. 

Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETH) hat tatsächlich ergeben, dass das Tragen einer Glocke nicht folgenlos für die Wiederkäuer bleibt. Die 19 untersuchten Tiere, denen Gewichte um den Hals gelegt wurden, bewegten ihre Köpfe weitaus seltener, zudem frassen sie weniger und hatten verkürzte Ruhephasen. 

Kuhglocken sind mehr als Folklore

Facebook-Seite von Kuhglocken "out"

Den Tierschützern gilt die Studie als Beweis, dass Kühe in einem nicht vertretbaren Ausmaß unter dem Lärm und dem Gewicht der Glocken leiden. Die Befürworter der Kuhglocken sehen das anders, denn die Studie ist umstritten. So gibt Thorsten Sehm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Milchbauern, zu Protokoll, dass eine durchschnittliche Kuhglocke zwischen 900 Gramm bis maximal zwei Kilogramm wiege. Die Studie dagegen sei mit Gewichten von 5,5 Kilo durchgeführt worden, was völlig an der Realität vorbeigehe. 

Würden die Glocken die Kühe wirklich stören, würden sie versuchen sie abzustreifen oder das Halsband an Baumstämmen aufzureiben, argumentiert Sehm. Die Glocken sind seiner Ansicht nach mehr als Folklore, denn sie dienen in den zerklüfteten Hängen der Alpen sowohl dem Bauern dazu, sein Vieh zu finden, als auch der Herde selbst, zusammenzubleiben.    

Facebookseite von Pro Kuhglocke

Moderne Alternativen sind denkbar

Dennoch, moderne Alternativen sind denkbar und werden von vielen Bauern bereits praktiziert. So können Kühe beispielsweise mit Transponder-Halsbändern ausgestattet werden, die ihre Koordinaten via Satellit durchgeben. So lässt sich die aktuelle Lage der Herde bequem von zuhause aus auf Google Maps nachschauen. Doch den Gegnern solcher neumodischen Lösungen geht es um mehr als den praktischen Nutzen der Glocken. Viele Viehwirte, die sich nun lautstark zu Wort melden, sehen die Diskussion als einen Angriff auf ein uraltes Brauchtum und Kulturgut. 

Schweiz-Tourismus-Sprecher Alain Suter versucht die erhitzten Gemüter zu beruhigen, indem er ein baldiges Verbot der Kuhglocken als „unwahrscheinlich“ bezeichnete. Die Tierrechts-Aktivistin Nancy Holten dagegen will aber weiter für ihre Sache - die Sache der Kühe kämpfen. Für den Herbst bereiten sie und ihr Team schon die nächste Kampagne vor. Spätestens dann dürfte die Diskussion in die nächste Runde gehen. 

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