Entschleunigung am Sylvensteinsee

Über den sieben Kilometer langen Wasserspeicher Sylvensteinsee ist eben noch eine kleine Gruppe Wassersportler geglitten. Auf aufblasbaren Paddelboards. Das Gleichgewicht auf dem schmalen, schwankenden Brett mit den Füßen austarierend, leicht gebeugt in den Knien, das mannshohe Paddel gleichmäßig durchs Wasser ziehend. Nicht zu hastig, nicht zu langsam. Bis ein jeder seinen Flow gefunden hat und im eigenen Rhythmus vor der Karwendelkette im Grenzgebiet zwischen den deutschen Alpen und Österreich vorüberzieht, die das Panorama im Süden dominiert. Sich den Elementen Wind und Wasser anvertrauend haben die Sportler das Paddel irgendwann vorne an der Nose unter die schmalen Gummibänder geklemmt und sich lang auf dem Kunststoffbrett ausgestreckt. Plötzlich allein mit sich zwischen Wasser und Himmel. 

Künstlich angelegter Stausee

Von 1954 bis 1959 am Sylvenstein, einer natürlichen Engstelle im oberen Isartal, erbaut, hatte der wenige Kilometer südlich von Lenggries gelegene Stausee vor allem den Zweck, den Wasserspiegel der Isar auf ihrem Weg durch den Isarwinkel bis in den Ballungsraum München konstant hochzuhalten. Denn, als in den 1920er Jahren erst die Isar und später die Seeache zum großen Teil in die Kraftwerke am Walchen- bzw. Achensee umgeleitet wurden, blieb von dem so wassereichen Fluss im nördlichen Verlauf oft nur ein trauriges Rinnsal übrig.

„Auf Höhe Lenggries und Bad Tölz war die Isar im Sommer oft so ausgetrocknet, dass sie sich in eine veritable Flussleiche verwandelte“, erzählt Manuela Strunz, Gemeindearchivarin von Lenggries. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Floßfahrt zwischen Mittenwald und München jahrhundertelang das wichtigste und verlässlichste Transportmittel gewesen ist.

Sylvensteinsee
Der Sylvensteinsee wurde von Menschenhand erschaffen © Tony Castle Wikimedia Commons CC-BY-SA-4.0

Gerade in heißen und trockenen Sommern wie 2018, wenn deutlich mehr Wasser zur „akuten Niedrigwasserbewirtschaftung“ in die Isar abgeleitet wird, als in den Stausee einfließt, ist die Wasserstandregulierung nach wie vor Hauptzweck des Sylvensteinsees. „Die Elefanten im Tierpark Hellabrunn wollen baden, die Kernkraftwerke an der Isar müssen gekühlt werden, die Müllabfuhr in München muss funktionieren“, verdeutlicht Dr. Tobias Lang vom Wasser-Wirtschaftsamt Weilheim die Bedeutung des bis zu 124 Mio. Kubikmeter fassenden Sees mit den drei Armen. Andererseits hat sich der 44 Meter hohe Staudamm –  „ein riesiger Kieshaufen“ – auch schon mehrfach bewährt. Zuletzt verhinderte er 2013 schwere Hochwasser. „Damals sind im Isartal Milliardenschäden vermieden worden“, sagt Lang.

Unverbaute Ufer

Doch ist der glitzernde, von den Voralpen gerahmte Sylvensteinsee heute vor allem eins: ein wunderschöner Badesee mit weitgehend unverbauten Ufern. „Wer hier zum Schwimmen, Tauchen, Rudern, Stand Up Paddeln oder Fischen herkommt, sucht keinen Kiosk mit Currywurst-Pommes, keinen Trubel auf bunten Gummiinseln oder auf knatternden Motorbooten“, sagt Ursula Dinter-Adolf, Leiterin Tourismus Lenggries. „Selbst Elektromotoren sind auf dem Sylvensteinsee verboten.“

Sylvensteinsee
Unter der heutigen Sylvensteinbrücke befindet sich das versunkene Dorf Fall.

Ganz ohne Protest ist der Bau des Sylvensteinsees damals freilich nicht verlaufen. Die Regulierung der Isar fand zwar breiten Konsens in der Bevölkerung. Dass sie dafür ihr Dorf, das immerhin auf das Jahr 1280 zurückgehen soll, aufgeben mussten, war für rund 20 Familien dennoch eine bittere Pille. Denn ihre Heimat, das Dorf Fall mit den zwei Wirtshäusern, der Kirche, dem Forsthaus und den Wohnungen der Waldarbeiter, lag mitten im Staugebiet – und musste geräumt werden.

Einige Kilometer südlich wurde Neu-Fall aufgebaut. „Doch vergessen haben die Leute ihr Alt-Fall nicht, sie erinnern sich gern an damals, glorifizieren die alte Zeit sogar ein wenig“, erklärt Archivarin Strunz. Nur ab und zu gibt der See den Blick wieder frei auf das alte Fall: Wie im Winter 2015, als totales Niedrigwasser herrschte und die Grundmauern und Keller des versunkenen Dorfes für ein paar Tage aus dem Schlamm auftauchten.

Versteckte Badestellen

Mit dem Outdoor-Hotel „Jäger von Fall“ und dem „Faller Hof“ gibt es Übernachtungs-Möglichkeiten, jedoch nicht direkt am Seeufer. Auch der Nacht-Parkplatz für Camper und Wohnmobile liegt versetzt am Waldrand. Die versteckten Badestellen am Nordufer sind meist nur über Trampelpfade zu erreichen. Das Auto wird derweil an der Bundesstraße 307 geparkt, die von Vorderriß zum Achenpass führt. Allein der große Badeplatz westlich von Fall hat einen Parkplatz, eine Grillstelle und einen Kiosk. Die Wasserwacht hat hier ihren Platz und der Lenggrieser Sportanbieter Montevia lässt seine SUP-Paddelboards an dieser Stelle zu Wasser.

Sylvensteinsee
Per gemieteten Boot gelangt man zu versteckten Badestellen © Tourist Information Lenggries, Adrian Greiter

Yoga-Kurse auf dem Sylvensteinsee

„Wir bieten seit 2013 SUP-Kurse an“, erklärt Geschäftsführer Martin Held, „sowohl auf dem See als auch auf der Isar, meist von Juni bis September.“ Gebucht werden kann individuell oder als Gruppe. „Unsere Yoga-Kurse auf dem SUP sind besonders beliebt, denn statt in einem stickigen Studio befinden wir uns in freier Natur.“ Die Energie und Bewegung des klaren Bergwassers verstärke die Wirkung der Körper-Balance-Übungen noch, sagt Held.

„Was für ein Juwel der Sylvensteinsee ist, erkennt man vielleicht am besten, wenn man von der Faller Klammbrücke aus den Blick übers Wasser und das gesamte Landschaftsschutzgebiet schweifen lässt“, sagt Ursula Dinter-Adolf, „denn der Sylvenstein ähnelt, besonders am Isareinlauf fast schon einem Fjord.“ Kein Wunder also, dass der Speichersee zu den meistfotografierten Naturschönheiten der Gegend gehört.

Weitere Informationen zum Sylvensteinsee 

Tourist Information Lenggries

Rathausplatz 2, 83661 Lenggries
Tel.: 08042-5008 800, Fax: 08042-5008 801
info@lenggries.de, www.lenggries.de

Das könnte dir auch gefallen …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von ALPENJOURNAL – das Alpenportal

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen