
Still-Leben in der Wildschönau
Von einem Tiroler Hochtal, seinen Bewohnern und dem ausgeprägten Wird-scho-Gefühl.
Dieser Tage arbeiten viele bis zur Erschöpfung, andere sind zum Nichtstun verdammt. Alle eint die Sehnsucht nach Normalität. Bis das Reisen wieder dazugehört, dürfte es jedoch auch bei optimistischer Einschätzung der Corona-Lage noch länger dauern. In den Alpen hoffen viele Urlaubsorte darauf, dass sie nach der Krise mit Natur und Einsamkeit ebenso wie mit kleinteiligen, familiären Strukturen punkten werden. Zunächst als Nahziel für Landsleute, im zweiten Schritt auch wieder für Urlauber aus den Nachbarländern. Aber wie sieht aktuell der Alltag in beliebten Feriendörfern aus, so ganz ohne Gäste? Es gibt viele Strategien für das (Über-)Leben in der Krise. Das Alpenportal zeigt Beispiele aus Österreich, die Mut machen und den Blick nach vorne richten.
Johan Schönauer bei der Arbeit im Käsekeller ©Wildschönau Tourismus
Pausetaste zum Schutze aller
In der Wildschönau, einem beschaulichen Hochtal in den Kitzbüheler Alpen, steht die Zeit still. Tief gedrückt ist die Pausetaste des alltäglichen Lebens, und damit es ja nicht zu früh die Musik bisheriger Zeiten spielen kann, ist sie mit Tesafilm fixiert. Sicher ist sicher. Zum Schutze aller. Und das ist auch gut so. Auf der Hauptstraße, die durch die Kirchdörfer Niederau, Oberau und Auffach führt, ist es ruhig.
Einer von wenigen, der sie noch nutzt, ist Johann Schönauer: Der Chef-Käser der Wildschönauer Schönangeralm und muss wöchentlich zur Käsepflege ausrücken. Für ihn ist Käse systemrelevant. „Käse kennt keinen Stillstand. Und kein Corona“, sagt er und nimmt die knappe Stunde Autofahrt von seinem Zuhause bei Kössen bis in den hintersten, aber vielleicht idyllischsten Winkel der Wildschönau gerne in Kauf. An die 300 Laibe Almkäse, Tilsiter und Emmentaler hat er zu wenden und zu bürsten.
Geredet wird im Käsekeller nicht
Sieben Stunden kann die ganze Prozedur dauern. Manchmal hilft ihm sein Neffe. Geredet wird im Käsekeller dennoch nicht. Und nachgedacht? Auch nicht. „Du bist nur beim Käse. Wenn du grübelst, kannst du dich nicht voll in den Käse hineinfühlen. Liebe und Herz, man muss alles geben.“ Nur dann wird der Käse richtig gut. Wie viel Zuneigung in Johann Schönauers Käse steckt, davon zeugen die zahlreichen Goldmedaillen, die er regelmäßig von der Käse-Olympiade in Galtür mitbringt.
Wenn Johann mit dem Käsestreicheln fertig ist, dreht er noch eine Runde mit Bergmann, seinem Hund. Jeden Sommer verbringen sie hier gemeinsam auf der Alm, unterhalb von Lämpersberg und Breiteggspitze. Sie genießen die Abgeschiedenheit der Bergwelt ebenso wie die Besuche von Einheimischen und Touristen, die Käse kaufen und einen Blick in die Schaukäserei werfen. Während Bergmann zwischen den Büschen nach Hundepost schnüffelt, hat Johann doch Zeit für ein paar Gedanken: „In den letzten Jahren hatte ich im Sommer immer Angst, dass mir der Käse nicht reicht. Wie das heuer wohl wird?“
Der Stillstand hat auch etwas Gutes
Nichtsdestotrotz freut er sich, wenn im Frühsommer die Almen wieder öffnen, er die Kühe wiedersieht und er sich hoffentlich dann wieder rund um die Uhr um seinen Käse kümmern muss. Vielleicht hat der Stillstand jetzt auch etwas Gutes. „So viel Zeit hatte ich noch nie.“ Denn auch sein Winter-Job als Masseur in einem 4-Sterne-Hotel ruht. Genug Entschleunigung also, um zu erkennen, was vielleicht wirklich zählt, dass man auch mit weniger auskommen kann und, dass es einfach wichtig ist, gesund zu bleiben. Apropos Gesundheit: Johann schwört natürlich auf Käse, einzunehmen morgens und abends. Ab und an darf‘s ein Gläschen Schnaps sein.
Georg Loinger stellt aus der Mich verschiedene Produkte her ©PrädastenhofEin besseres Rezept hat Georg Loinger derzeit auch nicht parat. „Momentan kannst einfach nur Kaffeesud lesen und abwarten.“ Aber eigentlich hat er dafür überhaupt keine Zeit. Er muss die Lebensmittel, die er auf seinem Prädastenhof produziert, ins Tal zum Supermarkt bringen, mit dem er seit gut zwei Jahren kooperiert: Graukäse, Buttermilch, Butter, Eier, Nudeln, Frischmilch, verschiedene Joghurtsorten sowie Kaminwurzn und Speck.
„Der Verkauf läuft wirklich richtig gut, die Nachfrage ist groß – trotz Krise, trotz fehlender Touristen. Die Einheimischen sind zuhause und haben Zeit zum Kochen. Viele besinnen sich darauf, regional einzukaufen und gewinnen dadurch wieder ein Gefühl für die Wertigkeit eines Produkts.“
Antrieb zur Direktvermarktung
Die Wertschätzung von Naturprodukten war bereits vor Jahren sein Antrieb zur Direktvermarktung. „Unser Hof liegt total ruhig und abgeschieden am Ende des Tals auf 1100 Meter Höhe. Für Ab-Hof-Verkauf ist das eher ungünstig, daher die Kooperation im Tal. Zum Leben aber ist es einfach ein Traum.“ Und zum Urlaub machen. Er hofft, dass er bald seine große Ferienwohnung am Hof, die nahegelegene Almhütte und das Chalet wieder an Gäste vermieten kann. „Wer nach Corona Ruhe und Abstand gewinnen möchte, ist hier wirklich richtig“, verspricht Georg Loinger.
Rund um den Prädastenhof ziehen sich zudem viele Wanderwege, auf denen man oft keiner Menschenseele begegnet – höchstens vielleicht sich selbst. Für Georg steht fest: Weitermachen und auch die Chancen in der Krise sehen. „Wenn’s fürs menschliche Umdenken und die Rückbesinnung aufs Wesentliche gereicht, dann ist schon viel gewonnen.“
Sigi Kistl an seinem Brennkessel ©Zweckelhof
Desinfektionsmittel statt Edelbrände
Während Georg Loinger in die Zukunft blickt, schaut Sigi Kistl auf seinem urigen Zwecklhof in den leeren Brennkessel. Eigentlich ist er auf die Herstellung von Edelbränden, Likören und Gin spezialisiert. Es ist sein zweites Standbein neben der Landwirtschaft. Seine Hauptproduktionszeit liegt zwar im Herbst, doch seine beliebten Schnapsverkostungen sind derzeit alle abgesagt,
Aber der Alkohol ist ebenso da wie das Rezept der Weltgesundheitsorganisation WHO für Desinfektionsmittel und die Nachfrage und Notwendigkeit steht ganz außer Frage. Also wird Sigi ab sofort die Ärmel hochkrempeln und Zauberwasser gegen Viren zur äußeren Desinfektion herstellen. Zur inneren Reinigung dagegen empfiehlt sich eine Marille oder Vogelbeere oder gleich ein „SiGin“ aus der Wildschönau.